
Herr Streich, Sie sprechen lieber Mundart als Hochdeutsch. Warum?
Würde ich Standarddeutsch sprechen, müsste ich überlegen, wie ich formuliere. Und da ich den Inhalt transportieren möchte, ist es besser, ich spreche Mundart. Allerdings in einer abgeschwächten Form. Von Haus aus spreche ich eigentlich noch stärker Mundart.
Sie sind im Markgräflerland aufgewachsen. In Weil am Rhein, nahe der Grenze zur Schweiz geboren und in Eimeldingen aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben eine Metzgerei. Wie war Ihre Kindheit?
Ich habe gewusst, was schaffen ist. Es ist ein Unterschied, ob der Vater ins Büro geht oder du ihn den ganzen Tag in der Produktion erlebst. Montagmorgens vor der Schule oder in den Ferien habe ich beim Schlachten oder Wurst machen geholfen. Gegenüber hatte der Cousin meines Vaters, mein Götti (Anmerk. d. Red.: Taufpate), sein Restaurant, da habe ich kassiert. Man kann sagen, ich habe mich in einer Metzgerei und einem Landgasthof sozialisiert.
Haben Sie als Kind davon geträumt Fußballprofi zu werden?
Ja, ich wollte Fußballspielen wie Pelé, mein großes Idol. Wann immer es ging, habe ich gekickt. Bei uns gab es einen kleinen Platz, dort haben wir uns alle zum Kicken getroffen. Man musste sich nicht verabreden, so wie heute. Man ist da einfach hin und dann waren zehn, 20 oder 30 andere da.
Ihr Vater teilte ihre Fußballbegeisterung. Einmal in der Woche hatten Sie ein festes Ritual.
Mittwochnachmittags hatte die Metzgerei geschlossen und dann sind mein Vater und ich aus unserem kleinen Dorf nach Basel und haben uns im Stadion mit 50.000 anderen, manchmal auch 65.000, die Länderspiele angeschaut. Auch das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger, Fortuna Düsseldorf gegen den FC Barcelona, haben wir dort gesehen. Diese gemeinsamen Nachmittage waren sehr prägend für unsere Beziehung. Der Vater, den ich sonst immer nur bei der Arbeit erlebte. Aber an diesem einen Nachmittag in der Woche war Fußball viel größer als das Geschäft.
Was bedeutet Heimat für Sie?
Geruch. Nahrung. Sprache. Landschaft. All das was ganz viele Menschen nicht mehr haben, weil sie nicht mehr zu Hause leben dürfen oder können. In unserem Haus hat es unten nach Brät gerochen. Oben nicht, man musste immer alles ausziehen, bevor man nach oben gegangen ist. Das Rahmschnitzel von meinem Götti. Der Geruch meiner Oma nach Kölnisch Wasser. Aber auch das Blut der Tiere. Der Rauch vom Wursträuchern. Die Abgase von der B3, an der wir direkt gewohnt haben.
Bis auf Stationen als Spieler in Stuttgart und Homburg sind Sie Ihrer Heimat stets treu geblieben. Warum?
Ich war nicht gut genug. Ich wäre lieber nach Barcelona oder Rom, aber die haben mich alle nicht genommen.
Die Welt gesehen haben Sie trotzdem. Marokko, Mexiko, Indien, Indonesien – als junger Mann zogen Sie mit Ihrem Rucksack um die Welt.
Ja. Da wir nicht viel Geld hatten, sind wir getrampt. Das war früher ganz normal. Als ich dann gekickt habe, konnte ich aber nur maximal dreieinhalb Wochen reisen. Schon mit 14/15 Jahren war ich sehr eingebunden und habe dreimal in der Woche trainiert und an den Wochenenden hatten wir Spiele. Aber die freie Zeit, die ich hatte, konnte ich zum Glück fürs Reisen nutzen.
Gibt es einen Ort, der ganz oben auf Ihrer Reiseliste steht?
Da gibt es hundert Orte.
Drei würden uns schon reichen.
In Indien war ich zwar schon, aber nicht im Norden. Da würde ich gern noch hin. Pakistan muss auch unglaublich schön sein. Oder Georgien. Aber das sind drei von Hundert.
Seit fast acht Jahren trainieren Sie mittlerweile die erste Mannschaft des SC Freiburg. Können Sie überhaupt noch unerkannt durch Freiburg schlendern?
Nein, da muss ich schon rüber ins Elsass. Da erkennen mich an einem ganzen Tag vielleicht nur ein oder zwei Personen. Aber in Deutschland, wo so viele Bundesliga schauen, geht das nicht.
Nervt das manchmal?
Der Grundpuls ist höher. Bei uns zu Hause war es nicht gern gesehen, nicht zu grüßen. Wenn du das als Kind so gelernt hast, dann bist du immer am schauen, ob du nicht irgendjemanden vergessen hast. Und man ist immer mit sich konfrontiert und wird auf die Arbeit zurückgeworfen. Deshalb habe ich anfangs ja auch gezögert das Angebot anzunehmen. Ich hätte mich auch gegen den Beruf entscheiden können. Aber ich habe zugesagt, also gehört das Erkanntwerden dazu.
Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Fahrrad fahren. Yoga mache ich seit vielen Jahren, das hilft.
Stellen Sie sich manchmal vor, wie das Leben nach dem Trainerdasein sein könnte?
Das ist sehr von der Stimmung abhängig. Wenn wir drei, vier Spiele verlieren, denke ich schon mal, hoffentlich ist es bald vorbei.
Was würden Sie dann mit Ihrer freien Zeit machen?
Ich fahre gern Fahrrad, vielleicht würde ich mich aufs Rad hocken und zwei, drei Monate durch Indien fahren.
Der dienstälteste Trainer der Bundesliga Christian Streich kam am 11. Juni 1965 in Weil am Rhein zur Welt und wuchs in dem kleinen Ort Eimeldingen, nahe der Schweizer Grenze auf. Mit 18 Jahren startete er seine Profi-Karriere als Fußballer beim Freiburger FC. Außerdem stand er u.a. für die Stuttgarter Kickers und den FC 08 Homburg auf dem Platz. Seit Dezember 2011 ist er Coach des SC Freiburg und damit dienstältester Trainer der Bundesliga. Im Februar 2019 verlängerte er seinen Vertrag mit dem Verein, Laufzeit unbekannt.